YUKON ARCTIC ULTRA 430 miles 03/02/13 - 16/02/13
Tag 9 nach dem Zieleinlauf in Dawson City. Es ist 02:30 in der Nacht und ich kann nicht mehr schlafen. Seit Tagen befinde ich mich noch auf dem Trail mit meiner Pulka im Schlepptau. Ich bin beim Verarbeiten meiner Erlebnisse während des Yukon Arctic Ultra 430 Meilen-Rennen in Kanada. Schlafprobleme und alptraumähnliche Zustände verfolgen mich. Wann wird sich die Situation normalisieren? Was führte dazu? Nun von Beginn an.
 
 
 
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Es ist der 03.02.2013 um 10:30 Lokalzeit in Whitehorse Kanada/Yukon Territory. Ich starte zu endloslangen 700 Kilometern durch Kanadas Wildnis, mit einer Pulka, einem Schlitten, der alles fasst, was man für so ein Abenteuer benötigt. Dazu gehört neben einem Schlafsystem für -40°C auch Verpflegung, Ofen mit Zündmaterialien, Wechselwäsche, GPS, Stirnlampen, Reservebatterien, Schneeschuhe, und natürlich alles um sich vor der Kälte zu schützen.

Aber was ist los beim Start? Es ist zu warm, nur knapp unter 0 Grad. Das bedeutet, tiefer sandartiger Schnee, eine wahnsinnige Anstrengung die Pulka zu ziehen. Es standen gut 60 Teilnehmer der unterschiedlichen Distanzen am Start, Marathonies, 100, 300 und wir die 430 Meilen Teilnehmer. Durch die Trailbedingungen, bin ich in einer Schlange gefangen, und kann nicht mein Tempo laufen, welches ich eigentlich möchte. Es erfordert einige anstrengende Überholmanöver, bis ich so frei bin, dass ich mein persönliches Tempo durchziehen kann. Wir folgen nun dem Trail des Yukon Quest, der am Vortag hier gestartet wurde. Es ist das berühmteste Hundeschlittenrennen, und führt über 1000 Meilen von Whitehorse bis nach Fairbanks in Alaska. Wir werden diesem Trail bis nach Dawson City folgen, 700 Kilometer.

Unser Weg führt uns über den Yukon und Takhini River zu Checkpoint 1 der Rivendell Farm, Finish der Marathonläufer. Um dort einzulaufen, und die erste warme Mahlzeit, eine Gemüsesuppe, zu erhalten ist eine steile Uferböschung zu erklimmen, Wahnsinn, ich schaffe es kaum mit meiner ca. 30 kg schweren Pulka. Hier muss ich mit meinem ersten Problem zurechtkommen, feuchtgeschwitzten Füssen. Trocknen beim Feuer, Socken tauschen, und es geht weiter. Erschwerend für mein Abenteuer, ich habe eine Art Durchfall, und einen Schnupfen habe ich auch von zu Hause mitgebracht. Durch die warmen Bedingungen hat sich auch noch ein „Wolf“ zwischen den Pobacken eingestellt, der von nun an behandelt gehört. Bei CP1 musste leider mein Laufkollege, Toni Hierschläger wegen einer Grippe aufgeben, und mir wird ganz anders, da ich sein Zimmerkollege in Whitehorse war. Es geht nun weiter in die Nacht hinein zu CP2 Dog Grave Lake (ca. 59 Meilen). Es ist sehr anstrengend, da viele Bergauf Phasen zu bewältigen sind. CP2 wird nur zur Einnahme einer Mahlzeit genutzt und es geht weiter nach Braeburn, Checkpoint 3, wo mich ein riesen Bisonburger erwarten wird. Entgegen meinem Plan muss ich aber eine Pause einlegen, es ist einfach zu anstrengend durchzulaufen. Ein Rastplatz mit Stroh vom Yukon Quest bietet sich für ein Biwak an. Es beginnt leicht zu schneien, und ich finde nicht wirklich Ruhe, ob ich geschlafen habe, kann ich nicht beurteilen. Also weiter. Vor Erreichen von CP3 ist der Braeburn Lake zu queren, und ich bin jetzt zu leicht angezogen. Das Thermometer fiel auf -25° C. Ich erreiche den Truckstop Braeburn (100 Meilen Finish) mitten in der Nacht und bin völlig ausgefroren. Den Burger kann ich gar nicht essen, und ich lege mich in eine Kabine zum Schlafen. In der Früh, nach kurzem Schlaf geht es weiter. Ken Lake der 4. Checkpoint (Meilen 138) ist das Ziel. Um CP4 zu erreichen ist wieder eine steile Uferböschung zu erklimmen, ich schaffe es mit letzter Anstrengung. Dort bekomme ich Beef im Sackerl, aber ich bin so ausgepowert, dass es mir nicht möglich ist es fertig zu essen. Ich nutze den Checkpoint für einen kurzen Schlaf beim Feuer, dann geht es weiter nach Carmacks, einem kleinen Ort mit CP5. Zwischenzeitlich sieht mein Tagesablauf ziemlich eintönig aus. Laufen, beschwerliche Toilettenpause mehrmals täglich wegen Durchfall und Wolf, und dazwischen versuchen einige Kalorien in Form von Riegel zu sich zu nehmen.

In Carmacks angekommen (Meile 173), werde ich vom Arzt in Empfang genommen, der mich für verschiedene Messungen benötigt, da ich Teilnehmer einer Studie bin, die die Zusammenhänge von großer Anstrengung und Kälte untersucht. Das heißt, ich bekomme einen Schlafsensor während meiner Ruhephase auf meine Stirn gehängt. Nach meinem Schlaf, der wieder sehr kurz ausfällt, gibt es noch weitere Messungen. Diese gibt es vor, während und nach dem Rennen. Nächster Checkpoint McCabe, Meile 211. McCabe erreiche ich in der Nacht bei Eiseskälte. Die Temperaturen schwanken stark von knapp unter Null bis -40° C. Die Nacht kann ich bei CP6 in einer leicht temperierten Halle verbringen. In der Früh, Aufbruch nach Pelly Crossing, CP7 bei Meile 239. Ich werde von Christian und David eingeholt, Platzierungen wechseln laufend, und wir erreichen Pelly Crossing am späten Abend. Hier erwartet uns der Studienarzt ein 2. Mal. Es werden wieder alle Messungen gemacht, und wir können in einer Turnhalle schlafen. In der Früh starte ich alleine um ca. 07:00 und drehe in Pelly Crossing gleich eine Ehrenrunde, da die Wegmarkierungen fehlen. Nächstes Ziel, Pelly Farm, ein legendärer Checkpoint bei km 272. Bis zur Pelly Farm zeigen sich erste Anzeichen der Erschöpfung, da ich mein Tempo nicht halten kann, und ich werde von mehreren Läufern überholt. Die 300 Meilen Läufer müssen bis Pelly Farm und dann zurück nach Pelly Crossing um zu finishen. Gegen Abend, erreiche ich wieder mit Christian und David den CP8. Wir werden herzlich begrüßt, und fühlen uns dann wie im Schlaraffenland. Bier, Wein, Lasagne, Muffins und Cakes, was will das Herz mehr. Die Nacht ist aber fürchterlich. Ich bekomme in einer Kammer ein Stockbett zugewiesen, ich oben. Plötzlich bekomme ich Atemnot, und es ist mir unmöglich in dieser Position, bei der warmen schlechten Luft liegen zu bleiben. Ich wandere aus ins Wohnzimmer auf eine Couch, aber auch keine Besserung. So gehe ich einmal ins Freie, um guten Sauerstoff zu atmen. Im Anschluss bekomme ich ein Bett im Dachboden zugewiesen, dort war dann etwas Schlaf möglich.
Zeitig in der Früh, nach einem tollen Frühstück, Aufbruch in’s 65 Meilen entfernte Scroggie Creek, CP9 bei Meile 337. Am Abend erreiche ich den Übergang in den Bergen. Ich sehe am Gipfel im Norden ein gleißend weißes Nordlicht über den gesamten Horizont, das mich für die Strapazen des Aufstieges entschädigte. Zu diesem Zeitpunkt war der Batterietausch meines SPOT-Gerätes, und ein Klo-Gang fällig. Als ich dann das Nordlicht fotografieren wollte, war es gerade beim Erlöschen. Ich entschied mich, bis Scroggie Creek durchzulaufen. Es war ein beschwerlicher Weg, da durch die Eis- und Schneelast auf den Bäumen viele brechen, und mir immer wieder den Weg versperrten. Das negative Highlight war dann mein Einbruch durch’s Eis bei der Querung eines Overflows, die in diesem Jahr, durch die oft wechselnden Temperaturen sehr häufig waren. Da heißt es rasch handeln, um eine lebensbedrohliche Situation zu vermeiden. Raus aus den nassen Sachen, umziehen und das bei ca. -30° C. Im Anschluss bin ich so schnell gelaufen als möglich, um meinen Körper wieder auf Temperatur zu bringen. In dieser Phase lief ich auf den Taiwanesen „Johnny“ auf, mit dem ich in den frühen Morgenstunden den Checkpoint erreichte. Somit bin ich von Pelly Farm bis hierher Nonstop in 26,5 Stunden, durchgelaufen, und als 5. Läufer hier angekommen.

Wir schreiben bereits Montag 11. Februar, Tag 8 des Bewerbes. Scroggie Creek ist zwar sehr abgelegen, aber wir werden hier gut versorgt, und ichversuche ein wenig zu schlafen. Das heiße Wasser müssen wir uns hier selbst zubereiten, da es Mangelware ist. Um 14:00 marschiere ich wieder los, und nehme die letzten 100 Meilen in Angriff. Es warten noch zwei mächtige Anstiege auf mich. In den Morgenstunden erreiche ich den Gipfel des Eureka Doms in den Black Hills. Hier holt mich Johnny wieder ein, den ich während seiner Rast überholt habe. Bereits beim Abstieg bemerke ich plötzlich, dass mir meine Umhängetasche mit wichtigen Ausrüstungsgegenständen fehlt, genau in dem Moment, wo ich mir dachte, dass ich mich ziemlich ausgelaugt fühle. Also Pulka abschnallen, und zurück, und tatsächlich, kurz vor dem Gipfel liegt meine Tasche. Dieser Ausflug kostete mir viel Kraft, und ca. 2 Stunden. Nun ging es bei herrlichem Wetter und Traumpanorama am Bergplateau auf und ab. Das Highlight war dann mein Versuch, die Pulka als Rodel zu verwenden, als sich der Trail schön gleichmäßig in das Tal hinunter zog. Das wiederum hatte den Nachteil, dass ich durch das Steuern und Bremsen nass wurde, und ich auch einige Ausrüstungsteile aus meiner Gurttasche verlor, die aber zum Glück nicht so wichtig waren, weil ein Zurückmarschieren nicht in Frage kam.
Einen kurzen Stopp mit Liegerast auf einem Feldbett, und Nudelsuppe gönnte ich mir bei einem kleinen Not-Checkpoint in Indian River. Von dort breche ich dann gegen Abend auf. Bald darauf passiert dann eine Katastrophe. Bei der Querung eines Overflows am Rand eines Waldes, bricht meine Pulka das Eis. Wie in einem Horrorfilm, pflanzt sich das Knacken des Eises fort, und ich hörte es von allen Seiten. In diesem Moment kam auch schon ein Wasserschwall aus dem Wald auf mich zu. Als ich den Sprung in den seitlichen Schnee wagte, stand ich bereits knöcheltief im Wasser. Mit dem Sprung in den Schnee sah ich mich bereits hüfttief im Wasser stehen. Ich glaubte bereits meine letzte Stunde hat geschlagen! Glücklicherweise bekam ich aber festen Boden unter den Füssen, und ich konnte mich mitsamt meiner Pulka durch den Schnee zurück auf den Trail retten. Aber was nun?

Ich hatte ein steifgefrorenes Paar Schuhe in der Pulka, und nun nasse Schuhe an den Füssen. Zum Glück haben meine Seal Skinz verhindert, dass das Wasser bis zu den Füssen durchdringt. Somit begann ich zu laufen um Wärme zu produzieren, damit die Schuhe mit den Füssen nicht einfrieren, und ich Zeit zu überlegen habe. Ich entschied mich ein Feuer zu machen, um die nassen Sachen zu trocknen. Leichter gesagt als getan, musste ich eine passende Stelle finden. So grub ich mir vom Trail zu den Sträuchern einen Weg aus, machte einen schönen Scheiterhaufen, und wollte den entzünden. Mit einem Stück Trockenspiritus sollte es ja kein Problem sein. Leider funktionierte bei dieser Kälte das Sturmfeuerzeug nicht, und mit den chinesischen Spezialstreichhölzern von Toni bekam ich auch keinen Funken zusammen. Letzte Chance der Feuerstein, und JA er funktionierte, leider brannte aber mein Feuerchen nicht, da das Brennmaterial zu viel Eigenfeuchte hatte. In meiner Not verkroch ich mich mit meinen Neos-Überschuhen in den Schlafsack, und hoffte, dass meine Eigenwärme ausreichen würde um die Situation zu überstehen. Nach einer unergiebigen Rast, bei der ich nicht weiß ob ich geschlafen habe, mache ich mich weiter auf den Weg.

In der Früh laufe ich auf Shelly auf, die mich bittet, den Help-Button des Spot Gerätes zu drücken, da ihres nicht mehr funktioniert. Sie hat mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen. Es dauerte ca. 4 Stunden, bis ein Helfer mit dem Snowmobile erschien und Shelly aus dem Rennen nahm. Zwischenzeitlich haben wir Johnny während seiner Schlafpause überholt. Nun beginnt die Königsetappe, hinauf auf den King Salomons Dome. Ich bin völlig ausgelaugt, und erreiche mit letzter Kraft den Gipfel. Als Entschädigung ein Wahnsinnspanorama. Hier werde ich von Johnny und Thomas überholt. Entgegen der Annahme, dass es von nun an nur mehr bergab nach Dawson City geht, muss noch eine langes Auf und Ab am Plateau zurückgelegt werden, bevor sich der Trail tatsächlich endlos in das Tal windet. Am Abend, bei erster Gelegenheit entschließe ich mich noch einmal zu biwakieren, da ich es einfach nicht durchstehen würde, in Einem nach Dawson zu laufen.

Während dieser Rast, merke ich wie sehr der Lauf an die körperliche Substanz geht. Nach Fehlinterpretationen und Halluzinationen, beginne ich nun auch noch mit nicht existenten Menschen zu sprechen und diskutieren, und sehe in der Pulka einen menschlichen Begleiter. Als dann Christian und David an mir Vorbeischlurfen, entscheide ich mich, nun die letzten Kilometer ins Ziel zu laufen, um endlich in ein ordentliches Bett zu kommen. Dieser Weg ist aber noch lang, und zieht sich endlosscheinend aus dem Tal hinaus. In dieser Nacht habe ich aber eine Abwechslung in Form von sensationellen Nordlichtern, in allen Farben und Formen, unglaublich. Für mich eine Ausrede um immer wieder stehen zu bleiben und zu schauen. In dieser Nacht fällt die Temperatur extrem. Ich ziehe alles an was ich habe, inklusive auch der NEOs, mit denen natürlich um so schwieriger zu gehen ist. Die Pulka läuft auch nicht nach, und sie wird zur Belastung, ja sie quält mich, und ich hasse sie in diesem Moment. Die ersten Anzeichen einer Stadt zeigen sich, aber die Straße windet sich weiter. Endlich überquere ich eine Brücke um nach Dawson City einzulaufen, aber der Weg leitete mich weiter durch Wälder, an Häusern vorbei und bringt mich dann auf den Klondike und den Yukon, wo es absolut am Kältesten ist. Endlich es ist geschafft, am Donnerstag 14. Februar um 05:23 erreiche ich als 7. Läufer das Ziel im Besucherzentrum von Dawson City.

 
 
430 Meilen in 10 Tagen 18 Stunden 53 Minuten von Whitehorse nach Dawson City.

Laut Tracking war ich 6 Tage 22 Stunden und 35 Minuten unterwegs und habe 3 Tage 20 Stunden und 9 Minuten angehalten. Durchschnittliche Tagesleistung, 67 km mit einer Geschwindigkeit von 4,35 km/h. Wenn man es auf die Gesamtdauer rechnet, wäre es inklusive der Pausen ein Durchschnittsgeschwindigkeit von 2,75 km/h.

Von den 24 Startern des 430 Meilen Laufbewerbes, erreichten 12 das Ziel. Die Anderen fielen aufgrund von Verletzung, Überforderung oder Nichteinhaltung der Karenzzeit aus. Für mich wird es interessant werden, die Studienergebnisse von mir zu bekommen, um zu sehen, was sich bei diesem Lauf in, bzw. mit meinem Körper abgespielt hat.

Der Yukon Arctic Ultra war schön, schön anstrengend, schön gefährlich, schön einsam, schön eintönig, schön atemberaubend, schön kalt……………………..meine größte Herausforderung bisher.
Für mich ist klar, ich werde NIE WIEDER eine Pulka hinter mir nachziehen
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